
Langenprozelten, wo die Sage spielt
Hier eine deutsche Sage.
Einst hörte ein Fischer in Langenprozelten von der anderen Seite des Maines "Hol über" rufen. Es war in einer richtigen Wetternacht. Der Wind brauste und trieb die Schneeflocken ums Fischerhäuschen, dass der Mann im warmen Bett dachte: "Wer heute Nacht draußen sein muss, kann einen dauern!" Horch! Wieder vernahm er ganz deutlich, obgleich der Sturm heulte, eine Stimme rufen: "Hol über!" Und zum dritten Male: "Hol!"
Da zwang sich der Schiffer aus den warmen Federn, zog sich geschwind an, lief ins Unwetter hinaus, band den Nachen los und ruderte über den Wellen schlagenden Fluss. Kaum erreichte er das andere Ufer, sprang eine riesenhafte Gestalt, die in einen weiten Mantel gehüllt war, in den Kahn, und der sank augenblicklich so tief ins Wasser, dass er beinahe unterging. Der Fischer ruderte aus Leibeskräften, um den Kahn weiterzubringen, und neben sich hatte er den unheimlichen großen Mann, der kein Wörtlein sprach. Nun waren sie in der Mitte des Stromes, der Sturm toste noch ärger und riss dem Schiffer fast die Ruderstangen fort; aber er hielt sie doch und stieß die Wellen hinter sich. Das schaukelnde Boot kam langsam vorwärts; endlich, dort war das Ufer, noch einige Meter; ha, da tat der unheimliche Fremde einen mächtigen Sprung ans Land, der Kahn schnellte wieder hoch und der riesenhafte Fahrgast verschwand ohne Gruß und Bezahlung in der Wetternacht.
Dem Fährmann liefen die Schweißtropfen übers Gesicht; er war ganz erschöpft, aber doch froh, als er die Riesengestalt davoneilen sah. Am nächsten Tage ging der Fischer zu der Stelle hin, wo der nächtliche Fahrgast aus dem Boot gesprungen war. Und da fand er im harten Ufergestein die Spur einer großen Geißklaue eingedrückt.