Das im Folgenden beschriebene Ritual ist wahrscheinlich älter als die Sprache, in der wir es hier darstellen. Ob es heuer noch praktiziert wird, wo, wann, wie und mit welchen Folgen, darüber herrscht aus weiter unten angeführten Gründen verständlicherweise weitestgehend Unklarheit.

Was hier wohl alles vergraben liegen mag?
1
Der rechte Zeitpunkt. Notwendige Utensilien
Betritt den Wald bei Abenddämmerung. Trage dein Haupthaar dabei unbedeckt und ungebunden.
Führe mit dir: Eine Kerze. Einen Beutel mit Salz. Einen Beutel mit Zucker. Zündhölzer oder ein Feuerzeug. Ein scharfes Messer oder eine Schere. Ein geweihtes Kruzifix.
2
Bekenntnis wider das Christentum. Der Ritus der „Opfergabe“
Stoße das Kruzifix kopfüber in die Erde.
Uriniere auf das Kruzifix. (*)
Entzünde die Kerze.
Grabe ein faustgroßes Loch.
Trenne ab mit Messer/Schere je eine Locke oder Strähne deines Kopf-, Achsel- und Schamhaars sowie ein gutes halbes Dutzend Fingernagelschnitzel.
Tue alles in das Loch, streue Zucker und Salz und träufle hernach flüssigen Kerzenwachs darüber, entzünde alles mit der Flamme der Kerze und warte ab, bis der Brand erlischt. Spucke sodann dreimal in die Asche und verschließe das Loch wieder sorgsam.
Bringe auf keinen Fall eine wie auch immer geartete Markierung an der Stelle an, die Außenstehenden einen Hinweis auf den praktizierten Ritus oder das hier Vergrabene geben könnte.
Verlasse nun wieder den Wald.
Nimm das Kruzifix und alles, was du sonst bei dir führst, wieder mit dir.
Blicke unter keinen Umständen zurück, niemals, solange, bis du den Waldrand erreicht hast.
3
Die Anrufung. Wortlaut
Nachdem du dich zur Nachtruhe gebettet, schließe die Augen und flüstere [drei Male hintereinander]:
„Suche mich, Mutter, und finde mich!
Fasse mich, Schwester, und halte mich!
Sprich zu mir, Meisterin, und lehre mich,
so mag ich dein sein ewiglich!“
Wiederhole die Anrufung allabendlich. Bist du gezwungen, zuvor ein christlich Gebet zur Nacht zu sprechen, spucke hernach dreimal aus, bevor du die Anrufung tust.
In der nächsten Vollmondnacht wird nun die Hexe, in deren Revier du deine mit Wachs vermengte Asche begraben hast, diese finden, ausgraben, mit besprochener Erde vermengen und aus der Substanz eine fingerlange homunkuloide Figur formen.
4
Zeichen, dass die Anrufung erhört wurde
Achte in Räumen, aus denen ein Fenster hinausgeht und in denen ein Spiegel sich befindet, des Nachts auf die Reflexionen des Mondlichts und der Sterne im Spiegel. (**)
Tiere, Katzen vor allem und Vögel, dienen Hexen traditionell als Boten, Kundschafter und Vermittler. Achte auf Vogelschreie nachts, in unmittelbarer Nähe. Achte auf die nächtlichen Schreie von Katzen. Achte auf Vögel und andere Tiere, insbesondere Katzen, bei Nacht wie bei Tag, die sich dir gegenüber auffällig zu verhalten scheinen.
Wenn die Anrufung den Anweisungen gemäß durchgeführt wurde und die Hexe dich als Schülerin und Schwester akzeptiert, wird sie in deinen Träumen Kontakt zu dir herstellen. Dabei kann sie beinah jede Gestalt annehmen, selbst jene real existierender, dir vertrauter Personen. Indes wird sie sich durch gewisse Zeichen dir gegenüber zu erkennen geben.
Du wirst sie erkennen, wie sich dich erkannt hat. Wenn sie will, dass du sie erkennen mögest.
Sei demütig. Vergiss niemals, wer die Herrin und wer die Dienerin, wer Meister und wer Schüler ist.
Und am allerwichtigsten: Bewahre Stillschweigen, erzähle niemandem von dem Ritual, der Anrufung und – von ihr!
5
Erweiterte Anrufung
Das Ritual kann sowohl von einer Einzelperson als auch einer Gruppe gemeinsam durchgeführt werden. Dabei muss jede und jeder Einzelne sämtliche hier gegebenen Anweisungen der Reihenfolge nach ausführen.
Hierzu genügen ein einziges Kruzifix sowie ein Erdloch, in das alle Teilnehmer/innen die oben angeführten Substanzen geben. Alsdann werden diese gemeinsam zu Asche verbrannt.
Wird das Ritual auf diese Weise gemeinschaftlich ausgeführt, bilden sämtliche Teilnehmer in dieser Angelegenheit fürderhin einen unlösbaren Bund.
Was im Vorhergehenden für den Einzelnen und die Einzelne gegolten hat, gilt diesbezüglich gleichermaßen für die Gemeinschaft. Jedes Mitglied steht für jedes andere ein, solange, bis der Bund gewaltsam gelöst wird. (***)
Anmerkungen:
(*) Dieses Element wurde nachträglich hinzugefügt, nachdem Exekutoren der römisch-katholischen Inquisition Kenntnis von dem Ritual erlangt hatten und es ihrerseits anwandten, um tatsächliche oder vermeintliche Hexen aufzuspüren. Es wird als unerlässlich betrachtet, um die Hexe zu versichern, dass das folgende Rirual nicht dazu dient, ihr eine Falle zu stellen.
(**) Spiegel gelten gemeinhin als Portale. Es ist sicher kein Zufall, dass in vielen überlieferten Sagen und Märchen Spiegel als Fenster und Pforten zu Träumen und anderen außergewöhnlichen Orten, Wesenheiten und Zuständen Erwähnung finden. Es wäre kaum verwunderlich, würde sich herausstellen, dass die Creepypasta um Bloody Mary thematisch einen solchen Spiegelmythos … nun ja – reflektiert.
(***) Wie letztere Formulierung genau verstanden sein will, wird nicht vollends ersichtlich. Die gewaltsame Lösung gilt hier aber offenbar sowohl bezogen auf die Gruppe an sich als auch deren spirituelle, durch die Anrufung geknüpfte Verbindung zur Hexenmutter bzw. -schwester.